Zurück zur Startseite
Zurück zur Startseite

Hat britisches Zinn die europäische Bronzezeit geprägt?

Die Analyse von Zinnartefakten aus drei Schiffswracks aus ca. 1.300 v. Chr. vor der Küste Israels zeigt, dass das Zinn aus Südwestengland stammt. Dies weist darauf hin, dass britisches Zinn bis in das östliche Mittelmeer, 4.000 km entfernt, gehandelt wurde.

Zinn ist ein unabdingbarer, aber selten vorkommender Bestandteil von Bronze, der bereits früh ausgiebig von den großen Zivilisationen der Bronzezeit im östlichen Mittelmeerraum genutzt wurde. Das von den kleinen bäuerlichen Gemeinschaften Großbritanniens in Cornwall und Devon abgebaute Zinn spielte vermutlich eine wichtige Rolle in der weiteren bronzezeitlichen Welt.

Unter dem Titel „From Land’s End to the Levant: did Britain’s tin sources transform the Bronze Age in Europe and the Mediterranean?“ hat das Fachjournal ANTIQUITY am 7. Mai 2025 die Forschungsergebnisse veröffentlicht. Daniel Berger, wissenschaftlicher Mitarbeiter am CEZA in Mannheim war an der Forschung und der Publikation beteiligt.

Größere und kleinere Zinnerzlagerstätten in Europa, Nordafrika, West- und Zentralasien (Abbildung von Williams)

Südwestengland eine der Hauptquellen für das Zinn zur Bronzeherstellung

Archäologen haben Zinnerze und Zinnartefakte aus Europa sowie aus Schiffswracks im Mittelmeer untersucht und herausgefunden, dass Südwestengland eine der Hauptquellen für das Zinn zur Bronzeherstellung war – unter anderem auch für die großen bronzezeitlichen Zivilisationen des östlichen Mittelmeerraums. Zinnbronze war eine bedeutende Innovation prähistorischer Gesellschaften. Durch die Legierung von Kupfer mit etwa zehn Prozent Zinn entstand ein härteres, leichter zu gießendes und zugleich ästhetisch ansprechendes goldfarbenes Metall.

Viele bronzezeitliche Zivilisationen des östlichen Mittelmeerraums und des Nahen Ostens nutzten Bronze bereits im 3. Jahrtausend ausgiebig für Waffen, Werkzeuge und kunstvollen Schmuck. Dennoch ist wenig darüber bekannt, woher sie das Zinn für die Bronzeherstellung bezogen. Während Kupfer in Europa und Asien relativ häufig vorkommt, gibt es nur wenige Orte, an denen Zinn abgebaut werden kann. Die reichsten und am besten zugänglichen Zinnerzvorkommen Europas befinden sich in Cornwall und Devon in Südwestengland.

(a) Geologische Karte von Cornwall und Devon mit den Zinnerzgängen (grün) in Verbindung mit den Granitaufschlüssen (rot); (b, c & d) Übersichtskarten der bearbeiteten alluvialen Zinnvorkommen; (e) Alluviale Zinnerzlagerstätten entstehen durch die Erosion von Zinnerzgängen (Abbildung durch die Autoren, außer wenn angegeben)


„Woher stammt das Zinn, das die bronzezeitlichen Gesellschaften in Europa und im Mittelmeerraum versorgte?“ fragt Dr. Alan Williams von der Durham University, Hauptautor der Studie. „Bislang gab es kein großes Forschungsprojekt, das englische Zinnerze und Zinnartefakte sowie die Zinnvorkommen in West- und Mitteleuropa systematisch untersucht hat.“ Um die Herkunft des Zinns zu bestimmen, analysierten die Wissenschaftler mehrerer europäischer Institutionen Spurenelemente, Blei- und Zinnisotopenverhältnisse von Zinnerzen von Lagerstätten und von Metallartefakten aus ganz Europa, darunter Zinnbarren aus Schiffswracks im Mittelmeer und vor der Küste Großbritanniens.

Bronze- oder eisenzeitliche Zinnbarren aus einem Schiffswrack bei Bigbury Bay vor der Küste Südwestenglands (Foto: Alan Williams)

Frühere Vermutungen zur Zinnherkunft bestätigt

Frühere Studien an Zinnbarren hatten bereits Hinweise auf Cornwall und Devon als wahrscheinlichste Zinnquelle geliefert, doch ein eindeutiger Nachweis für eine britische Herkunft fehlte bislang. Durch die erstmalige Kombination dieser drei Analysemethoden und die Anwendung auf Zinnerze gelang es den Forschern nun, das Zinn der Barren und anderer Funde zweifelsfrei Cornwall und Devon zuzuordnen. Der Vergleich der Ergebnisse mit Zinnbarren aus drei etwa 1.300 v. Chr. datierten Schiffswracks vor der Küste Israels sowie einem späteren Wrack vor der Mittelmeerküste Frankreichs zeigte, dass das in den Wracks gefundene Zinn aus Südwestbritannien stammte. „Es freut mich zu sehen, dass durch die weiteren Forschungen unsere frühere Vermutung einer britischen Zinnherkunft aus 2019 jetzt endlich bestätigt werden kann.“, sagt Dr. Daniel Berger vom CEZA Mannheim, Deutschland, Mitautor der Studie. „So etwas gelingt nur selten.“

Dr. Benjamin Roberts von der Durham University, ebenfalls Mitautor der Studie, fügt seinerseits hinzu: „Das bedeutet, dass Zinn, das vor rund 3300 Jahren von kleinen bäuerlichen Gemeinschaften in Cornwall und Devon abgebaut wurde, über 4000 Kilometer weit bis zu den Königreichen und Staaten im östlichen Mittelmeerraum verhandelt wurde. Dies ist das erste Handelsgut in der britischen Geschichte, das über den gesamten Kontinent verhandelt wurde.“

Wir kennen über 100 Kupferminen aus der Bronzezeit in Europa, aber praktisch nur wenige eindeutig nachgewiesene Zinnbergwerke oder Zinntagebaue. Wurde das Kupfer aus all diesen Bergwerken mit etwa zehn Prozent Zinn legiert, dürften jährlich bis zu 200 Tonnen Zinn über Hunderte von Kilometern durch Europa und Westasien gehandelt worden sein. Der Großteil dieses Zinns könnte nach der neuesten Studie aus Südwestengland stammen, was unser Verständnis von Großbritanniens Rolle in der bronzezeitlichen Welt erheblich verändert. „Die Entdeckung eines weitreichenden Handelsnetzwerks, das vermutlich jährlich Tonnen von Zinn quer durch Europa transportierte, revolutioniert unser Bild von Großbritanniens sozialen und wirtschaftlichen Verbindungen mit den weit größeren und komplexeren Gesellschaften der fernen Vergangenheit“, resümiert Dr. Roberts. „Das Volumen, die Regelmäßigkeit und die Dauerhaftigkeit des Zinnhandels übertreffen alle bisherigen Annahmen und erfordern eine völlig neue Perspektive darauf, was bronzezeitliche Bergleute und Händler leisten konnten.“

Den vollständigen Artikel in Antiquity finden Sie hier.