Eiszeit im Oberrheingraben: Flusspferde lebten länger in Europa als gedacht

Flusspferde überlebten in Mitteleuropa deutlich länger als bisher angenommen – sogar während der letzten Eiszeit im Oberrheingraben.

Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Universität Potsdam, der Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim und des Curt-Engelhorn-Zentrums Archäometrie hat anhand neuer Knochenanalysen nachgewiesen, dass Flusspferde noch vor etwa 47.000 bis 31.000 Jahren in dieser Region lebten. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal Current Biology veröffentlicht und stellen bisherige Annahmen zum Aussterben der Tiere in Europa deutlich in Frage.

Flusspferd aus der Eiszeit
Flusspferde lebten am Oberrhein im gleichen Zeitfenster wie Mammuts. © rem, Foto: Rebecca Kind

Flusspferde im Oberrheingraben: Überraschende Funde

Bislang ging man davon aus, dass gewöhnliche Flusspferde (Hippopotamus amphibius) in Mitteleuropa vor rund 115.000 Jahren mit dem Ende der letzten Warmzeit ausgestorben sind. Die aktuelle Studie, an der auch Forschende der ETH Zürich und weiterer internationaler Partner beteiligt waren, zeigt nun, dass Flusspferde während der Mitte der letzten Eiszeit im Oberrheingraben im Südwesten Deutschlands lebten.

Was die Knochen erzählen: Datierung und Analysen

Der Oberrheingraben ist ein bedeutendes kontinentales Klimaarchiv. Die in den Kies- und Sandablagerungen erhaltenen Tierknochen bieten wertvolle Einblicke in die Vergangenheit. „Es ist erstaunlich, wie gut die Knochen erhalten sind. An vielen Skelettresten konnten wir aussagekräftige Proben entnehmen – nach dieser langen Zeit keine Selbstverständlichkeit“, betont Dr. Ronny Friedrich, Experte für Altersbestimmung am Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie.

Linkes Unterkiefer-Fragment eines weiblichen Flusspferdes
Unterkiefer-Fragment eines weiblichen Flusspferdes aus den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim (Slg. Reis Hippopotamus sp.). Altersdatierung: Zwischen 46.000 und 48.300 Jahre vor heute. Fundort: Bobenheim-Roxheim, Rhein-Pfalz-Kreis. © rem, Foto: Rebecca Kind


Das Team analysierte zahlreiche Flusspferdfunde mittels paläogenetischer Methoden und Radiokarbon-Datierungen. Die Sequenzierung alter DNA ergab, dass europäische Eiszeit-Flusspferde eng mit heute lebenden afrikanischen Flusspferden verwandt sind und zur selben Art gehören. Die Datierungen belegen ihr Vorkommen während einer milderen Phase der mittleren Weichsel-Eiszeit.

Eine genomweite Analyse zeigte eine sehr geringe genetische Vielfalt, was auf eine kleine, isolierte Population im Oberrheingraben hindeutet. Diese Ergebnisse zusammen mit weiteren Fossilien belegen, dass die wärmeliebenden Flusspferde zur selben Zeit wie kälteangepasste Arten wie Mammuts und Wollnashörner lebten.

Neue Erkenntnisse für die Eiszeitforschung

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Flusspferde am Ende der letzten Warmzeit nicht aus Mitteleuropa verschwunden sind, wie bisher angenommen“, fasst der Erstautor Dr. Patrick Arnold zusammen. „Daher sollten weitere Flusspferdfossilien, die traditionell der letzten Warmzeit zugeordnet wurden, erneut untersucht werden.“

Prof. Dr. Wilfried Rosendahl, Generaldirektor der Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim und Leiter des Projekts „Eiszeitfenster Oberrheingraben“, ergänzt: „Die Studie liefert wichtige Erkenntnisse und zeigt, dass die Eiszeit nicht überall gleich war. Lokale Besonderheiten ergeben zusammengenommen ein komplexes Bild – ähnlich einem Puzzle. Es ist spannend und wichtig, auch andere wärmeliebende Tierarten, die bisher der letzten Warmzeit zugeschrieben wurden, genauer zu erforschen.“

Die Studie entstand im Rahmen des Projekts „Eiszeitfenster Oberrheingraben“, gefördert durch die Klaus Tschira Stiftung Heidelberg. Das interdisziplinäre Vorhaben untersucht die Klima- und Umweltentwicklung im Oberrheingraben und Südwestdeutschland über die letzten 400.000 Jahre. Die Untersuchungen basieren unter anderem auf eiszeitlichen Knochenfunden aus der Sammlung Reis, die an den Reiss-Engelhorn-Museen verwahrt werden.

Den vollständigen Artikel in Current Biology finden Sie hier.