Mit einem spektakulären Multiparameteransatz gelingt Mannheimer Wissenschaftlern ein spektakulärer Durchbruch bei der Lösung des Zinnrätsels der Bronzezeit. Unter dem Titel „The rise of bronze in Central Asia: New evidence for the origin of Bronze Age tin and copper from multi-analytical research“ ist im Fachjournal Frontiers in Earth Science kürzlich eine Publikation von Dr. Daniel Berger, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie (CEZA) Mannheim und Mitautoren erschienen, die sich mit der Herkunftseingrenzung von Zinn und Kupfer in Bronzen aus der Bronzezeit in Zentralasien beschäftigt.
Die Herkunft des Zinns, das nicht nur in der Mittel- und Spätbronzezeit Zentralasiens (ca. 2200–1300 v. Chr.) zur Herstellung von Bronze verwendet wurde, sondern überall in der Bronzezeit der Alten Welt, ist nach wie vor eines der größten Rätsel der prähistorischen Archäologie. Zahlreiche archäologische und analytische Studien an Bronze- und Zinnobjekten zuvor konnten keine eindeutigen Hinweise liefern. Einen ersten Meilenstein zur Entschlüsselung der Zinnherkunft nahm das Team um Daniel Berger und Ernst Pernicka, wissenschaftlicher Direktor des CEZA, bereits 2019. In einer archäometallurgischen Studie war es ihnen durch Kombination von Zinn- und Bleiisotopenanalysen und Bestimmung der Spurenelemente gelungen, mögliche Zinnquellen einzugrenzen. Untersuchungen an spätbronzezeitlichen Zinnbarren (1530–1300 v. Chr.) von Fundorten im östlichen Mittelmeerraum deuteten anhand ihrer isotopischen und chemischen Charakteristika auf europäische Zinnlagerstätten und besonders auf diejenigen in Cornwall und Devon in Südwestengland hin.
Auch wenn damals andere Fundstellen und anderes Material im Fokus standen, so schuf die Methodenkombination die Grundlage für die jetzt erfolgten Untersuchungen zum zentralasiatischen Zinn. Neue Ideen zur Analyse und Interpretationsansätze wurden entwickelt und die Datengrundlage zu Erzlagerstätten erweitert, bis in diesem Jahr ein spektakulärer Durchbruch glückte. Erstmals gelang es den Mannheimer Forschern, die Rohstoffquellen nicht nur einzugrenzen, sondern eine konkrete Zinnlagerstätte im tadschikischen Hochgebirge durch einen Multiparameteransatz mit dem Zinn in Bronzeartefakten der Region in Verbindung zu bringen.
Zentralasien wurde in der Mittel- bis Spätbronzezeit von zwei Kulturgruppen dominiert: dem Bactria-Margiana Archaeological Complex (BMAC) im Süden und der Andronovo-Kultur im Norden. Beide Gruppen traten ab dem 18. Jh. v. Chr. in engeren Kontakt. Sie stellten Metallobjekte her, die mit immer höheren Zinnanteilen verarbeitet waren. Die Frage, die bis heute nicht eindeutig beantwortet werden konnte, war die nach den konkreten Quellen des Zinns. Durch Geländeuntersuchungen waren einige Zinnbergwerke bereits bekannt, unter anderem Karnab und Lapas in Usbekistan sowie Muschiston in Tadschikistan. Dass diese ausgebeutet wurden, legten zudem archäologische Ausgrabungen nahe. „Durch unsere Multiparameteruntersuchungen sind wir nun aber zum ersten Mal in der Lage, die Bronzen der Andronovo-Kultur und der Spätphase des BMAC eindeutig auf die Zinn- und Kupfererze von Muschiston zurückzuführen. Der isotopische und chemische Fingerprint der Lagerstätte ist derart spezifisch, dass zusammen mit den archäologischen Informationen keine Zweifel an der Herkunft bestehen“, so Archäometallurge Berger. Muschiston ist v. a. auch deswegen interessant, da das verhüttete Erz von dort eine „natürliche Bronze“ liefert.
Insgesamt untersuchte das Forscherteam mehr als 90 Artefakte von BMAC- und Andronovo-Fundstellen sowie zahlreiche Zinnerze in Zentralasien. So konnte auch die Herkunft des Kupfers für viele Artefakte geklärt werden: In der mittleren Bronzezeit nutzte der BMAC Kupfer aus iranischen Bergwerken bei Deh Hosein und Lagerstätten in der Anarak-Region. Gemeinsam mit dem Kupfer gelangte höchstwahrscheinlich auch Zinn nach Zentralasien. Ab der Spätbronzezeit änderten sich aber die kulturellen Beziehungen, und die Menschen des BMAC verwendeten zunehmend Kupfer und eben auch Zinn aus dem Gebiet der Andronovo-Kultur (Tienshan-Gebirge). „Das unterstreicht die enge Verflechtung der beiden bronzezeitlichen Kulturgruppen Zentralasiens und eröffnet erstmals ein weites Fenster auf die damaligen überregionalen Wirtschaftsbeziehungen der Region“, sagt der Münchner Archäologe Kai Kaniuth, Mitautor der Studie.
Dass die Beschaffung der Rohstoffe der Bronze für die Menschen damals allerdings noch weitaus komplexer war, verdeutlicht neben der Vielzahl von Zinn- und Kupferlagerstätten in der Region auch die Existenz von Bronzeartefakten, deren Daten auf weitere, noch immer unbekannte oder unzureichend naturwissenschaftlich charakterisierte Rohstoffquellen schließen lassen. Den Wissenschaftlern des CEZA bieten sich also weiterhin genügend Ansätze für neue Forschungen in der Region. Die Ergebnisse der Studie sind aber grundlegend für alle zukünftigen Studien zum Zinn. Artefakte aus verschiedenen Regionen können mit den vorliegenden Daten verglichen werden und so zu einer hoffentlich abschließenden Lösung des Zinnrätsels beitragen.
Originalpublikation:
Berger, D., Kaniuth, K., Boroffka, N., Brügmann, G., Kraus, S., Lutz, J., Teufer, M., Wittke, A., Pernicka, E., 2023. The rise of bronze in Central Asia: New evidence for the origin of Bronze Age tin and copper from multi-analytical research. Frontiers in Earth Science 11. https://doi.org/10.3389/feart.2023.1224873